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Hilfe, wir brauchen neue Frauen!

Der rote Drachen

Wir waren beim Jagen. Als wir zurückkamen, sahen wir, dass unsere Frauen und Kinder niedergebrannt worden waren. Nur eine Frau überlegte den verheerenden Brand.

Ein Windstoß hatte das große Lagerfeuer vor der Höhle ausgebreitet. Felle und Decke hatten sich entzündet. Schnell war der rote Drachen bis zu unserer Haupthöhle vorgedrungen und hatte so viel Rauch und Qualm entwickelt, dass die ins Innere geflüchteten Frauen bis auf eine jämmerlich erstickten. Mit ihnen auch die Kinder.

Was blieb uns übrig: voll Trauer, Schmerz und Wut trugen wir die verkohlten Leichen aus der Haupthöhle ins Freie. Der Anblick der schwarzen, bis aufs Skelett verbrannten Teile war trostlos. Das waren bis vor ein paar Stunden noch unsere Frauen und Kinder gewesen.

Häuptling Brüllix geriet in verzweifelte Rage und warf seinen Speer mitten in den Kopf eines Verbrannten. Vor Abscheu wandten wir uns davor ab. Zwar war das kein Mensch mehr, was als verkohlte Reste dalag, aber trotzdem waren es doch unsere Stammesmitglieder. Mochte Brüllix noch so verzweifelt sein, aber dies hätte er nicht tun brauchen.

Aber Brüllix raste weiter. Sofort wollte er den nächsten Stamm überfallen, um die weibliche Mitglieder aufzufrischen. War er denn verrückt geworden? Das bedeutete den sicheren Tod von uns allen. Er aber beharrte darauf, immer wieder versuchte er uns anzutreiben.

Er hatte insofern Recht. Wir mussten uns wieder mit Frauen versorgen. Aber so zu drängen und unüberlegt vorzugehen glich Selbstmord.

Überfälle auf uns hatten wir schon einige erlebt. Danach konnten wir jedes Mal wieder die Verluste durch einen Gegenschlag ausgleichen. Aber es war jetzt nicht Sache, sofort den entstandenen Schaden auszugleichen. Der für einen Beutezug in Frage kommende Stamm war unseren an Stärke weit überlegen. Wir waren auf knapp zwanzig Mann zusammengeschrumpft. Ein Überfall in dieser Lage hätte die sichere Vernichtung unserer Sippschaft bedeutet.

Mit diesen Einwänden konnten wir schließlich Brüllix überzeugen. Er ließ von dem Vorhaben wütend ab.

Nun überlegten wir lang und breit, welche Vorgehensweise angebracht war. Wir mussten dabei sicher gehen, so wenige Verluste wie möglich einzustecken. Das war das einzige, was wir wussten.

Inzwischen zog der Winter ins Land. Nunmehr war sowieso an einem Überfall erst im nächsten Frühling zu denken. Das war gut. Wir konnten weiter nachdenken.

Der Überfall des Bären

Die Vorratskammern waren gefüllt. Bald schon schneite es unaufhörlich. Einzig Mangel an frischem Fleisch herrschte, da der Schnee meterhoch vor der Höhle lag. Es wurde schwieriger, überhaupt aus der Höhle zu gelangen. Nur gut, dass man inzwischen den roten Drachen gezähmt hatte und also mit dem Feuer umzugehen gelernt hatte. Wenigstens herrschte Wärme und Licht in feuchter, düsterer Höhle. Das hin und wieder erlegte Frischfleisch konnte über dem Feuer gebraten werden. Die Folge war ein wohltuendes Behaglichkeitsgefühl im Bauch. Ansonsten lebten wir von unseren Vorräten. Da wir, unser Stamm, nunmehr so wenige waren, gab es genug zu essen. Das war kein Problem. Den Überfall, nämlich die Herbeischaffung neuer Frauen, war unsere große Last.

Wann wir vor der Feuerstelle saßen, umgeben von einer großen Decke, nur die Augen des Kopfes lugten hervor, dann starrten wir ständig stumm ins Feuer und grübelten nach: Wie war die schwierigste Aufgabe, deren man sich je gegenübergestanden hatte, zu bewältigen? Ab und zu stand einer auf und legte neues Holz nach, das knisternd vom Lodern des roten Drachens empfangen wurde. Nur gut, dass man einen recht großen Holzvorrat angelegt hatte, um die unersättliche Gier des Ungeheuers zu stillen. Es war jetzt nicht nachzudenken, dass der rote Drachen eigentlich beides war: Ungeheuer und Wohltäter zugleich.

Heftige Widerworte wurden ausgetauscht, sobald jemand eine Idee hatte. Dazu sprang derjenige meist erregt auf und versuchte auf die am Boden stumm Kauernden und mit dem Kopf Schüttelnden einzureden, um sie zu überzeugen. Meist erfolglos setzte er sich wieder hin oder ging nach hinten, um neues Holz zu holen, welches er erregt zerbrach und zerstückelte, um es schleudernd ins Feuer zu werfen, das heftig lodernd die entgegengebrachte Opfergabe empfing. Aber es wollte uns keine glänzende Idee kommen. Die Situation war ziemlich aussichtslos und verfahren.

Die Lehre des Bären

Krixl trat vor den Eingang der Höhle. Er sah in der Weite, wie sich einige Männer mit dem Herbeischleppen eines Beutetieres abplagten.

Ein grauer Himmel prangte, wodurch kaum die Sonne drang. Schnee bildete eine glatte Eisschicht an der Erdoberfläche. In klirrender Kälte mussten seine Männer harte Arbeit leisten, um den erlegten Hirschbock auf einer Bahre vorwärts zu bewegen. Dabei war der kapitale Hirsch weniger das Problem. Die Männer rutschten immer wieder beim Gehen aus.

Krixl wollte ihnen gerade zu Hilfe kommen.

Plötzlich stand ein mächtiger, schwarzer Bär vor der Höhle. In seiner Hungersnot wurde das Raubtier also sogar bis in die Behausungen der Menschlinge getrieben. Damit hatte niemand gerechnet. Dieser Bär war vielleicht auch genauso überrascht wie die Menschlinge, die auch eiligst, vor allem wer krank und schwach war, in die weiter hinten liegenden Höhlenbereiche flüchteten. Wahrscheinlich hatte ihn der Geruch von Essbaren bis hierher gelockt.

Krixl warf sich geistesgegenwärtig hinter einen Felsen. Andere Männer, gesundere, kamen hinter ihm aus der schwarzen Höhle hervorgekrochen, bewaffnet und zu allem bereit. Man blieb nicht versteckt hinter dem Felsen verborgen, um tatenlos mitanzusehen, wie der hungrige Bär sich appetitlich über die Essensvorräte hermachte. Nein, die Männer, stapften mit den Füßen auf, hechelten mit der Zunge und gestikulierten mit den Speeren in der Hand. Der Eindringling sollte Angst kriegen.

Dieser wusste wohl auch nicht recht die Situation einzuschätzen. Statt sich über die Keulen, herunterhängenden Schinken, die über die Stelle des Lagerfeuers hingen, herzufallen, ging er erst einmal hin und her, sich aufrichtend und heftig brüllend. Drohgebärden dies, die ihre Wirkung nicht verfehlten, der Bär war über drei Meter hoch so aufgerichtet. Gute zehn Zentimeter lange Beißer ragten aus seinem eklig-rotem Maul. Die Menschlinge erbibberten und erzitterten vor Angst und Schrecken und wichen immer wieder sich versteckend hinter dem schützenden Felsen zurück. Dennoch hörte man nicht auf, allen erdenklichen Krawall zu machen, auf den Felsen mit Steinen und Sperren zu schlagen, zu brüllen, zu feixen und zu pfeifen.

Normalerweise hätte der Bär bei solch einem Geschrei längst schon die Flucht ergriffen. Warum tat er es einfach nicht? Er war doch in offensichtlicher Lebensgefahr? Ja, er roch wohl das Fleisch, so dass er nicht umkehren konnte. Die Natur, der Hunger, die Gier war einfach stärker. Und so stürzte er sich jetzt blindlings, taub und rücksichtslos auf diejenigen Fleischvorräte, die in ledernen, verschnürten Säcken am Eingang von den Wänden herunterhingen.

Die Menschlinge waren jetzt aufs äußerste erregt, tatenlos etwas so Ungeheuerem zusehen zu müssen: Das Essen wurde von einer riesigen, hungrigen  Bestie verschlungen, als wären es Gummibärchen. Ja, so heftig und hastig schlang der Bär hinein, dass man meinen konnte, er hätte es mit kleinsten Süßigkeiten zu tun anstatt mit Brocken von Fleisch und Knochen.

Was mussten die Menschlinge in ihrer unaussprechlichen Ohnmacht beobachten, fixiert, regungslos und versteinert? Der Schwarzbär - knuddeliges dichtes Fell, eine bombastische Decke für die kalten Winternächte -  sprang gut einen Meter hoch mit seinen zentnerschweren Gewicht – ein riesiger, fetter, durchwachsener Fleischberg, die Ration eines ganzen Monats für die ausgehungerten Menschlinge - um einen offen Sack, aus dem das Fleisch herausroch, als würde es sichtbare Geruchsfäden aussenden, mit seinen heftigen Krallen zu greifen.

Gierig zerrte er am Sack, zerriss die Umhüllung und verschlang dessen Inhalt, ohne sich aber um die Beobachter zu kümmern. Mochte er auch die Höhlenbesitzer nicht sehen, so doch riechen. Solange sie ihn aber nicht angriffen, scherte er sich einen Dreck um sie. Er war am Ziel seines Verlangens, Fleisch gefunden zu haben. Es war allen klar, dass man nur warten musste, bis er sich vollgefressen hatte, um ihn brüllend abziehen zu sehen. Leichter gesagt als getan.

Plötzlich schrie Brüllix, der überaus mächtige Häuptling, zum Angriff. Wahrscheinlich konnte er es nicht ertragen, mit anzusehen, dass sich überlebenswichtige Vorräte minderten. Aber was konnte ein einziger Bär schon großartig vertilgen? Außerdem war es noch immer besser, er fraß die Vorräte statt Menschen. Für Brüllix war aber jetzt vernünftige Überlegung sinnlos verschwendete Zeit: Auf den Bären, verhindern, dass er uns sozusagen zu Tode fraß!

So Brüllix, der Führer, in seiner Wut und Herrschsucht und Panik, unvernünftig wie es ihm eigen war, stürzte sich in Richtung des Bärs. Die anderen, zunächst erschrocken, schlossen sich ihm schließlich an. Speere wurden auf das Biest geschleudert, Steinbrocken folgten danach. Was konnte man für eine Wirkung von Waffen erwarten, die mit zugeschliffenen, spitzen Steinen bearbeitet waren angesichts eines solch hünenhaften Bären? Gefährlich und scharf, geschweige denn tödlich für ihn? – hahaha! Gut, sobald man den Bären ein paar Mal getroffen hatte, kratzte er sich allenfalls unwillkürlich an jener Stelle, unterbrach sogar seine gierige Mahlzeit, stürzte sich auf seine Angreifer, die panikartig zurückflohen. Aber danach aß er seeelenruhig weiter, als wäre nichts geschehen. Er hielt es nicht einmal für nötig, die Beute schnellstens in Sicherheit zu bringen. Oh, wie den Menschlingen dessen Ruhe und Gemütlichkeit in Rage brachte!

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